In kaum einem anderen Land prägen große Familienunternehmen die Wirtschaft so stark wie in Deutschland. Es ist ihr Anspruch, gesellschaftlich verantwortungsvoll zu wirtschaften – und doch sind sie beim Bemühen, Chancengleichheit und Vielfalt in der Führung auf dem Niveau anderer westlicher Industrieländer zu etablieren, der Bremsklotz der deutschen Wirtschaft. Der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der 100 größten deutschen Familienunternehmen liegt bei 8,3% - er hat sich in den letzten zwei Jahren kaum bewegt.
FAMILIENUNTERNEHMEN VERLIEREN DEN ANSCHLUSS
Am 1. März 2022 arbeiten 408 Männer und 37 Frauen in den Geschäftsführungen der 100 größten deutschen Familienunternehmen. Das entspricht einem Frauenanteil von 8,3 Prozent und liegt deutlich unter dem der 160 an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen, wo er 14,3 Prozent beträgt.
Weniger als ein Drittel der 100 größten deutschen Familienunternehmen hat überhaupt eine Frau in der Geschäftsführung, bei den Börsenunternehmen immerhin etwa die Hälfte:
JE MEHR TRANSPARENZ, DESTO HÖHER DER FRAUENANTEIL
Je höher die Transparenz und der Einfluss externer Akteure, desto höher ist der Frauenanteil in der Geschäftsführung: Die im öffentlichen Fokus stehenden #DAX40-Konzerne schneiden am besten, die Unternehmen in vollständigem Familienbesitz am schlechtesten ab.
TROTZ SEHR VIELER NEUBESETZUNGEN: FAMILIENUNTERNEHMEN STELLEN SO GUT WIE KEINE FRAUEN EIN
Während die Führungsstrukturen in den Familienunternehmen traditionell eigentlich dauerhafter sind als in den Börsenunternehmen, ist in den vergangenen zwei Jahren der Anteil der Geschäftsführungsmitglieder, die das Unternehmen verlassen haben, in Börsenunternehmen und Familienunternehmen in etwa gleich gewesen und lag bei knapp 30 Prozent:
Entscheidend für die unterschiedliche Entwicklung von Börsen- und Familienunternehmen ist also nicht, wer das Unternehmen verlässt, sondern wie die Unternehmen die freiwerdenden Positionen nachbesetzen. Während die Börsenunternehmen systematisch Frauen rekrutieren (26% Frauen), wählen die Familienunternehmen weiterhin fast ausschließlich Männer (12% Frauen):
STEFAN HOLT WEITERE STEFANS IN DIE FAMILIENUNTERNEHMEN
Stefan ist der häufigste Name in den Geschäftsführungen der Familienunternehmen, in den Vorständen der Börsenunternehmen ist es Thomas. Thomas und Stefan teilen die Neigung, Personen zu fördern, die ihnen sehr ähnlich sind. Das wird bei den Rekrutierungen für die Geschäftsführungsebene in den vergangenen zwei Jahren sehr deutlich: sie reproduzieren weiterhin das bestehende Muster:
Am extremsten ist diese Entwicklung bei den Unternehmen, die zu 100 Prozent in Familienbesitz sind: hier wurden in den vergangenen 2 Jahren mehr Personen mit dem Vornamen Stefan in die Geschäftsführung berufen (7) als Frauen (5).
KOMMENTAR DER ALLBRIGHT-GESCHÄFTSFÜHRUNG: DIE WELT DREHT SICH, DIE FAMILIENUNTERNEHMEN STEHEN STILL
In kaum einem anderen Land prägen große Familienunternehmen die Wirtschaft so stark wie in Deutschland. Es ist ihr Anspruch, gesellschaftlich verantwortungsvoll zu wirtschaften – und doch sind sie beim Bemühen, Chancengleichheit und Vielfalt in der Führung auf dem Niveau anderer westlicher Industrieländer zu etablieren, der Bremsklotz der deutschen Wirtschaft. Mit 8,3 Prozent ist der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der Familienunternehmen nur gut halb so hoch wie bei den Unternehmen in DAX, MDAX und SDAX, und er bewegt sich nicht.
Im März 2020 hat AllBright erstmals den Frauenanteil in den Geschäftsführungen der 100 größten Familienunternehmen dokumentiert; »traditionsreich und frauenarm« lautete damals die Diagnose. Zwei turbulente Krisenjahre später ist in der deutschen Wirtschaft fast nichts mehr, wie es war – nur die Führungsstrukturen in den Familienunternehmen präsentieren sich völlig unverändert.
TROTZ VIEL BEWEGUNG AN DER SPITZE : SO GUT WIE KEINE NEUEN FRAUEN
Die Neubesetzungen an den Unternehmensspitzen unterscheiden sich bei Börsen- und Familienunternehmen stark – nicht in der Menge, sondern in der Auswahl der Personen. Die Unternehmen in DAX, MDAX und SDAX haben in den vergangenen zwei Jahren deutlich mehr Frauen rekrutiert als in den Vorjahren, internationaler sind sie schon lange. Die Familienunternehmen, in denen es nicht weniger Neubesetzungen gab, haben diese Chance nicht genutzt: Sie scheinen steckengeblieben zu sein in einem eher regional orientierten Fokus und setzen in Krisenzeiten auf Vertrautes und vermeintlich Altbewährtes: Männermannschaften.
SIND FAMILIENUNTERNEHMEN FÜR DIE BESTEN TALENTE BALD NUR NOCH ARBEITGEBER ZWEITER WAHL?
Aldi, Bertelsmann, Deichmann, Haribo, Miele, Storck – Familienunternehmen stehen für starke Marken, und Marken sind besonders abhängig vom Vertrauen ihrer Kunden. Das öffentliche Bewusstsein für Diversität und Chancengleichheit für Frauen aber wächst in Deutschland, die deutsche Gesellschaft ist längst vielfältig, nur kommt im Management der Familienunternehmen nichts davon an. Kundinnen und Kunden erwarten inzwischen ebenso wie Mitarbeitende und insbesondere Top-Talente, dass Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden und für Chancengleichheit ebenso sorgen, wie sie es schon für Nachhaltigkeit tun. Für die Familienunternehmen ist das Chance und Herausforderung zugleich: denn Frauen gehen bevorzugt in Unternehmen, in denen sie schon Frauen vorfinden. Das ist in den Familienunternehmen aber in der Regel nicht der Fall, für sie wird es zunehmend schwieriger, Managerinnen für eine Tätigkeit in der Geschäftsführung zu begeistern. Vielfalt zieht vielfältige Talente an, ein veraltetes Führungsverständnis tut es nicht.
ENTSCHEIDUNGSMACHT DER FAMILIEN ERMÖGLICHT SCHNELLE VERÄNDERUNG
Es ist eine Stärke der Familienunternehmen, dass sie in Generationen denken und nicht in Quartalen. Gerade deshalb sollten Diversität und Chancengleichheit nicht als Zeitgeistthema unterschätzt werden, es geht um eine der großen, dauerhaften gesellschaftlichen Veränderungen – und eine der größten Herausforderungen für die Unternehmen. Familienunternehmen sind seit jeher Anpassungskünstler: überlebt hat, wer die Zeichen der Zeit erkannt und für sich genutzt hat. Sie haben gute Voraussetzungen, sollten aber sehr schnell ihre Prioritäten justieren. Sonst werden sie bei der Modernisierung der Führung dauerhaft abgehängt.