Aldi, Bertelsmann, Bosch, Burda, Otto, Oetker, Haniel, Axel Springer – die großen deutschen Familienunternehmen prägen als Ikonen des Unternehmertums die deutsche Wirtschaft; mehr als die Hälfte der 100 größten deutschen Familienunternehmen besteht seit mehr als einem Jahrhundert. Ihr Führungsverständnis erscheint allerdings meist ebenso alt wie die Unternehmen selbst: Am 1. März 2020 sind weniger als 7 Prozent der Mitglieder in den Geschäftsführungen Frauen.
FAMILIENUNTERNEHMEN HABEN STARKE GRUNDWERTE - UND EINEN „BLIND SPOT“ BEI KARRIERECHANCEN FÜR FRAUEN
Werteorientiertheit wird in der Selbstdarstellung der Familienunternehmen großgeschrieben. Respekt und Fairness sollen Grundlage des Miteinanders im Unternehmen sein. Es gilt der Anspruch, nicht allein auf den wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet zu sein, sondern auch Verantwortung für eine bessere nachhaltige und gerechte Gesellschaft zu übernehmen.
In einem Bereich aber haben die Familienunternehmen einen »Blind Spot« und werden diesem Anspruch nicht gerecht: Faire Karrierechancen für Frauen. Die 100 größten deutschen Familienunternehmen berufen nur knapp 7 Prozent Frauen in ihre Geschäftsführungen.
BÖRSENNOTIERTE FAMILIENUNTERNEHMEN SCHNEIDEN BESSER AB
Je höher die Transparenz des Unternehmens und der Einfluss familienfremder Akteure, desto höher ist der Frauenanteil in der Geschäftsführung. 20 der 100 größten deutschen Familienunternehmen sind an der Frankfurter Börse notiert und der Frauenanteil in den Geschäftsführungen dieser Unternehmen ist höher als in den 80 Familienunternehmen, die nicht börsennotiert sind. Am schlechtesten schneiden die Unternehmen ab, die sich zu 100 Prozent in Familienbesitz befinden.
EXTREM HOMOGENE FÜHRUNGSGREMIEN
In der Regel entscheidet die Eigentümerfamilie darüber, wann und mit wem das operative Management besetzt wird. Hauptziel ist dabei meist nicht die kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern ein vertrauensvolles Verhältnis und Loyalität als Basis für eine langjährige Zusammenarbeit entsprechend den Werten und Prioritäten der Familie.
So landen oft gar nicht die Besten in der Führung – sondern vor allem die immer Gleichen und es entsteht eine extreme Homogenität: die Geschäftsführungen der 100 größten deutschen Familienunternehmen sind im März 2020 sehr männlich, sehr deutsch und auch schon etwas älter. Der westdeutsche Wirtschaftswissenschaftler oder Ingenieur Mitte Fünfzig prägt ihre Chefetagen noch viel stärker als in den Börsenunternehmen.
KAUM WEIBLICHE FAMILIENMITGLIEDER IN MACHTPOSITIONEN
In nahezu allen der 100 Familienunternehmen machen die Familien ihren Einfluss über Positionen in den Führungsgremien geltend. Aber in nur 36 der Unternehmen ist ein weibliches Familienmitglied in offizieller Funktion vertreten. Machtvolle Positionen wie der Vorsitz der Geschäftsführung oder des Aufsichtsrats werden in der Familie noch immer vorwiegend Männern anvertraut:
POSITIVER EINFLUSS VON FRAUEN AUS DEN EIGENTÜMERFAMILIEN
Wie viel Einfluss die Familien weiblichen Familienmitgliedern zugestehen hat auch einen Einfluss darauf, wie viele (auch familienfremde) weibliche Managerinnen für die Geschäftsführungen rekrutiert werden: Je mehr weibliche Familienmitglieder aktiv im Unternehmen mitwirken, desto häufiger sind auch andere Frauen in entscheidenden Positionen des Unternehmens vertreten.
KOMMENTAR DER ALLBRIGHT-GESCHÄFTSFÜHRUNG: ALLES MUSS SICH ÄNDERN, DAMIT ALLES BLEIBEN KANN, WIE ES IST
DIE ZEICHEN DER ZEIT ERKENNEN
Zeit hat eine besondere Dimension in Familienunternehmen: sie denken in Generationen, nicht in Quartalen, heißt es. Ziel ist nicht die kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern das langfristige Überleben, das Weitergeben eines prosperierenden Unternehmens an die nächste Generation. Familienunternehmen in zweiter, vierter oder sechster Generation sind Anpassungskünstler. Sie haben stets zuverlässig die Zeichen der Zeit erkannt und zu nutzen gewusst; so haben sie viele Jahrzehnte überlebt – im ständigen dynamischen Zusammenspiel von Tradition und Erneuerung. Wem das Ausbalancieren nicht gelang, ist auf der Strecke geblieben.
Es ist eine Stärke der Familienunternehmen, dabei vom Zeitgeist unabhängig zu agieren. Das erfordert aber auch die Kunst, zwischen Zeitgeist und grundlegender Veränderung zu unterscheiden. Diversität wird unsere Gesellschaft dauerhaft prägen, doch von der Vielfalt in der Gesellschaft kommt in den Führungsetagen der Familienunternehmen heute so gut wie nichts an. Sowohl Kunden als auch Mitarbeitende – insbesondere die gut ausgebildeten jungen Frauen – erwarten aber, dass Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und für Chancengleichheit und Diversität ebenso sorgen, wie sie es schon für Nachhaltigkeit tun.
GEMISCHTE FÜHRUNG MACHT UNTERNEHMEN ROBUST
Familienunternehmen können sich bei der Auswahl des Führungspersonals nicht weiter auf männliche Erben und einen kleinen Kreis mittelalter westdeutscher Männer beschränken, sie müssen gerade jetzt im eigenen Interesse verstärkt Frauen in die Geschäftsführungen und Aufsichtsräte berufen, denn ein veraltetes Führungsverständnis wird sich besonders in der Krise rächen. Gemischte Führungsteams machen die Unternehmen robuster; sie haben die breitere Perspektive, sind dynamischer, innovativer, profitabler und unwägbaren Herausforderungen besser gewachsen.
Junge Frauen in Familienunternehmen wollen in die Führung, sogar mehr als junge Männer – das zeigte eine Untersuchung der Stiftung Familienunternehmen schon 2018. Dass ihnen das möglich gemacht wird, liegt in der Verantwortung der Gesellschafterfamilien. Die Stärken der großen Familienunternehmen – ihre Anpassungsfähigkeit, der unternehmerische Mut und ihre Verantwortungsbereitschaft – ermöglichen es ihnen, solche strategischen Entscheidungen schnell und pragmatisch umzusetzen.
DIE KRISE IST DER RICHTIGE ZEITPUNKT
Die aktuelle Krisensituation wirkt auch hier wie ein Brennglas, denn Prozesse und Personalien müssen nun auf den Prüfstand. Die Voraussetzungen für eine schnelle und nachhaltige Erneuerung sind wirklich gut: die Familien müssen sie nur nutzen und sich jetzt dafür entscheiden, viel stärker auf Frauen zu setzen.