Gastartikel in der WirtschaftsWoche: Elterngeld abschaffen? Macht euch lieber ans Ehegattensplitting ran

Die neue Bundesregierung muss dringend strukturelle Reformen angehen, damit Deutschlands Wirtschaft wieder wächst – dazu gehören auch Reformen in der Familienpolitik. Ifo-Chef Clemens Fuest hat nun einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht: die Abschaffung des Elterngelds. Es sei nur ein „nice to have“, aber keine essenzielle Sozialleistung. Acht Milliarden Euro könnten demnach jährlich gespart werden. Die Entrüstung ist groß – und das zu Recht, denn es gibt bessere Ideen.

Statt das Elterngeld zu streichen, sollte eine andere, weitaus teurere und noch dazu wirtschaftsschädliche Subvention in den Blick genommen werden: Das Ehegattensplitting.

Seit Jahren weisen die OECD und die Europäische Kommission auf die „unerwünschten Nebenwirkungen“ des Ehegattensplittings hin: Es kostet den Staat jährlich mehr als 20 Milliarden Euro und bremst die Gleichstellung von Frauen ebenso wie die volkswirtschaftliche Entwicklung.

In Deutschland liegt tatsächlich ein enormes wirtschaftliches Potenzial brach: die gut ausgebildeten Frauen. In kaum einem anderen westlichen Industrieland arbeiten Frauen so häufig in geringfügiger Teilzeit oder unter ihrem Qualifikationsniveau. Sie fehlen auf dem Arbeitsmarkt und in den Entscheidungspositionen.

Um die Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit von Frauen auf die Höhe der Zeit zu bringen, braucht es zwei politische Kraftanstrengungen: eine umfassende Reform des Ehegattensplittings und substanzielle Investitionen in die Kita- und Ganztagsbetreuung.

DAS KANN SICH DEUTSCHLAND NICHT MEHR LEISTEN

Indem es einen Anreiz setzt, dass vor allem Frauen ihre Arbeitszeit reduzieren, trägt das Splitting dazu bei, dass Frauen in Politik und Wirtschaft seltener mitentscheiden, häufig ökonomisch abhängig sind und ein erhöhtes Risiko für Altersarmut haben. Ihre Erwerbsbeteiligung wird systematisch vermindert und der Fachkräftemangel verschärft – das kann sich Deutschland schon lange nicht mehr leisten.

Wenn Frauen ihre Arbeitszeit reduzieren, ist das zum einen der mangelhaften Versorgung mit Kita- und Ganztagsschulplätzen und einer familienunfreundlichen Arbeitswelt geschuldet. Doch viele Frauen kehren auch dann nicht in Vollzeit zurück, wenn ihre Kinder größer oder sogar längst aus dem Haus sind. Das Ehegattensplitting macht es finanziell möglich.

GEFÖRDERT WERDEN EHEN – NICHT FAMILIEN

1958 als Anerkennung der Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter eingeführt, ist es 2025 kein geeignetes Instrument zur Familienförderung mehr: Frauen haben längst andere Aufgaben, Ziele und Bedürfnisse, sie sind inzwischen besser ausgebildet als Männer und verfolgen eigene berufliche Pläne. Bei einer Vollzeittätigkeit beider Eheleute entfällt aber der Splittingvorteil (es profitieren nur Ehen mit deutlichem Gehaltsunterschied), so dass diese partnerschaftliche Aufteilung wenig attraktiv erscheint.

Tatsächlich ist das Splitting auch weit entfernt davon, gezielt Familien zu fördern: es fördert ausschließlich Ehen – unabhängig davon, ob Kinder im Spiel sind oder nicht. Anders als 1958 sind Ehe und Familie heute nicht mehr automatisch gekoppelt, die große Gruppe der Alleinerziehenden und die vielen Partnerschaften ohne Trauschein gehen leer aus.

SCHWEDEN ZEIGT, WIE'S GEHT 

Ein Blick nach Schweden zeigt einen anderen Weg: dort wurde schon 1971 eine Individualbesteuerung eingeführt. Sie gilt heute als Startschuss für eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der Frauen in der Regel in Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten, ökonomisch unabhängig sind und das Land gleichberechtigt in Parlament und Führungsetagen mitgestalten. Zugleich bekommen sie mehr Kinder als in Deutschland, denn Arbeitswelt und Infrastruktur sind konsequent auf das Modell der Dual Career ausgerichtet.

Anstatt zu fördern, dass gut ausgebildete Frauen zu Hause bleiben, wurde das Geld in Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung investiert. Sie gelten nicht als Privatsache, sondern als Grundlage für die Arbeitsmarktverfügbarkeit von Männern und Frauen.

REFORMSTAU: 43 JAHRE OHNE FORTSCHRITT

Schon 1982 hat Helmut Kohl versucht, das Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting zu reformieren. Karlsruhe signalisierte damals, dass die finanzielle Bevorzugung von Ehepaaren durch das Splitting-Modell verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Infolgedessen wurde das Thema aufgegeben und gilt seither in der politischen Diskussion als schwierig und unpopulär. Der Reformstau dauert inzwischen 43 Jahre an.

Mit dem Neustart der Regierung gibt es nun endlich ein Momentum für Veränderung. Die Vorstellungen von Ehe und Familie haben sich grundlegend verändert, Frauen wollen und müssen zunehmend am Arbeitsmarkt partizipieren, unnötige Subventionen kann das Land sich nicht mehr leisten. Das Verfassungsgericht hat mehrfach festgehalten, dass das Grundgesetz dynamisch interpretiert werden muss, um gesellschaftlichen Veränderungen gerecht zu werden.

KOSTEN FÜR KINDERBETREUUNG ABSETZEN

Es ist an der Zeit, schrittweise zur Individualbesteuerung überzugehen, bei Bestandsschutz schon bestehender Ehen. Zugleich müssen die Qualität und Quantität des Kita- und Ganztagsschulangebots verbessert werden, die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten ebenso. Das sind entscheidende Elemente einer zukunftsfähigen Familienpolitik.

Wenn die neue Regierung den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken will, muss sie dafür sorgen, dass das weibliche Potenzial im Land besser genutzt wird. Der Weg zu einer zukunftsfähigen und gleichberechtigten Wirtschaft und Gesellschaft führt über eine Reform des Ehegattensplittings und Investitionen in die Infrastruktur der Kinderbetreuung. Nur so können wir die Weichen für eine starke Wirtschaft stellen, in der Frauen und Männer gleichermaßen zur Entwicklung des Landes beitragen.

Der Gastartikel von Evelyne de Gruyter, Christian Berg und Wiebke Ankersen erschien am 4.03.2025 in der WirtschaftsWoche.


Marie Zeisler