Warum eine Erhöhung der Arbeitszeit den Fachkräftemangel noch verschärfen könnte
Beschäftigte in Deutschland arbeiten im Schnitt weniger Stunden als in vielen europäischen Nachbarländern. Warum eine 42-Stunden-Woche trotzdem nicht die Lösung für den Fachkräftemangel ist und was wir stattdessen von Schweden lernen können, erklärt Wiebke Ankersen in der Kolumne „Chefinnensache“.
In Deutschland wird insgesamt weniger gearbeitet als im EU-Durchschnitt. Gleichzeitig spüren wir den Fachkräftemangel, und so wird seit einiger Zeit eine 42-Stunden-Woche gefordert – ein erstaunlich hilfloser Vorschlag.
Bevor wir über eine Erhöhung der Regelarbeitszeit diskutieren, sollten wir erst einmal dafür sorgen, dass überhaupt alle vollzeitnah arbeiten können und wollen. Denn dass hier vergleichsweise wenige Arbeitsstunden geleistet werden, liegt vor allem daran, dass die Hälfte der Frauen in Teilzeit oder geringer Teilzeit arbeitet, ein sehr deutsches Phänomen.
Dafür muss eine Vollzeittätigkeit in Deutschland aber nicht unattraktiver werden, sondern attraktiver.
Befürworter der 42-Stunden-Woche verweisen gern darauf, dass beispielsweise in Schweden pro Kopf deutlich mehr Wochenarbeitsstunden geleistet werden. Das stimmt, aber erreicht wurde das nicht mit einer Regelarbeitszeit von 42 Stunden, im Gegenteil. Gerade weil etwas weniger gearbeitet wird, wird insgesamt mehr gearbeitet.
Wer dort immer bis spät am Schreibtisch sitzt, gilt schon lange nicht mehr als Held. Männer und Frauen arbeiten grundsätzlich in Vollzeit oder vollzeitnah. Und damit das funktioniert, gibt es in Schweden eine Arbeitskultur mit großem Respekt fürs Familienleben: Keine festen Meetings nach 16 Uhr und Führungskräfte gehen für alle gut sichtbar pünktlich nach Hause, damit klar ist, es ist in Ordnung, sich um die Familie zu kümmern.
Weil das fest etablierter gesellschaftlicher Konsens ist, arbeiten in Schweden mehr Frauen als in Deutschland. Sie arbeiten in der Regel mindestens vollzeitnah, übernehmen viel häufiger Führungspositionen und bekommen gleichzeitig mehr Kinder. Weil Arbeiten in Vollzeit eben nicht automatisch heißt, auf ein Privatleben zu verzichten – denn Staat und Unternehmen sorgen mit guten Kitas und Ganztagsschulen und einer menschlichen Arbeitskultur für Raum zum Arbeiten und zum Leben.