Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche: Deutschland kann mehr

 
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Deutschland kann mehr

Der Frauenanteil in den Dax-30-Unternehmen ist im Krisenjahr 2020 noch weiter gesunken. Während Unternehmen in den USA, Großbritannien oder Schweden auf weibliche Führungskräfte setzen, nehmen deutsche Firmen lieber „Altbewährtes“: Männer. Ist das Mindset im deutschen Management wirklich so altmodisch?

Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche von Wiebke Ankersen und Christian Berg

Das ist eines fortschrittlichen westlichen Industrielandes nicht würdig: Der ohnehin geradezu anachronistisch geringe Frauenanteil in den Vorständen ist bei den 30 DAX-Unternehmen im Krisenjahr 2020 noch weiter gesunken. Beobachter haben sich daran gewöhnt, dass er seit vielen Jahren mehr oder weniger stagniert – dass er nun sogar noch sinkt, hätte kaum jemand für möglich gehalten. Es macht tatsächlich sprachlos.

In der Krise setzen deutsche Unternehmen auf Männer

Die Pandemie prägt derzeit auf beispiellose Weise die Wirtschaft weltweit, aber nicht überall ist die Reaktion der Unternehmen dieselbe. Deutsche Konzerne strukturieren ihre Führungsetagen um, allerdings ganz anders als ihre Wettbewerber in den USA, Großbritannien, Frankreich, Schweden oder Polen. Während dort die Vorstände deutlich weiblicher werden, sind in deutschen Börsenunternehmen im Krisenjahr zwei Mechanismen zu beobachten: eine Verkleinerung der Vorstände und der Rückgriff auf Gewohntes, „Altbewährtes“ – man setzt auf Männer.

11 DAX-Unternehmen ohne Frau im Vorstand

Viel häufiger als in den Vorjahren haben sich die deutschen Konzerne im vergangenen Jahr von Frauen in den Vorständen verabschiedet. So ist der Frauenanteil bei den 30 DAX-Unternehmen nicht wie in den Jahren zuvor weiter angestiegen, sondern in einer Rückwärtsbewegung auf den Stand von 2017 gefallen. Es stehen nicht mehr sechs, sondern ganze elf DAX-Unternehmen ohne eine einzige Frau im Top-Management da. Mit dieser Entwicklung steht Deutschland in unserem internationalen Vergleich ganz allein, nirgends ist das Festhalten an veralteten Führungsstrukturen so zäh.

Spontanes Gelächter im Ausland

Schockiert bis amüsiert reagieren ausländische Betrachter auf die extreme Homogenität im deutschen Top-Management: erste Reaktion amerikanischer Wirtschaftsjournalisten oder schwedischer Unternehmer ist spontanes Gelächter – warum um Gottes willen wird denn das große Potential gut ausgebildeter Frauen nicht genutzt in einem Land, das schon so souverän von einer Frau geführt wird? Die Frauen sind doch da, man muss sie doch nur auch für die Positionen auswählen? So altmodisch kann das Mindset im deutschen Management doch wohl nicht sein, dass man Frauen auf Augenhöhe nicht aushält?

Vielfalt ist wenig verankert an den Unternehmensspitzen

Was auch immer Aufsichtsräte dazu veranlasst, in der Krise nun sogar noch verstärkt auf Männer in den Vorständen zu setzen – es ist ein kurzsichtiger Reflex, der zeigt, wie wenig verankert die strategisch wichtige Vielfalt von Perspektiven an deutschen Unternehmensspitzen ist. Und es ist ein Reflex, der sich rächen könnte, denn er blockiert den dringend notwendigen Modernisierungsschub an der Spitze der Unternehmen, der im Ausland längst in vollem Gange ist.

Unterschiedliche Erwartungen an Männer und Frauen

Es ist vor allem Sache der Unternehmen, an ihren Strukturen zu arbeiten, um eine nachhaltige Balance von Männer- und Frauenkarrieren zu erreichen. Dazu gehört beispielsweise, von Männern und Frauen nicht grundsätzlich Unterschiedliches zu erwarten: Auch Väter sollten die Freiheit haben, sich stärker für ihre Familien zu engagieren, Elternzeit zu nehmen und Teilzeit zu arbeiten, auch in Führungspositionen. Arbeitgeber, die eine Balance wollen, müssen dazu ermuntern und es nicht nur zähneknirschend hinnehmen. Das ist es, was Männer bei einem solchen Veränderungsprozess zu gewinnen haben.

Und Frauen sollten ganz einfach befördert werden, anstatt sie zunächst mit vielerlei Fördermaßnahmen zu „optimieren“. Frauen sind gut, wie sie sind. Wenn sie sich in der Führung an manchen Stellen anders verhalten als Männer, gilt es, sich daran zu gewöhnen.

Das Ehegattensplitting erschwert es Unternehmen, Führungsfrauen zu entwickeln

Wenn die Politik nun über eine Geschlechterquote für Vorstände nachdenkt, sollte sie konsequenterweise noch einmal ihr ganzes Instrumentarium in den Blick nehmen. Denn mit dem Ehegattensplitting beispielsweise macht es der Staat den Unternehmen unnötig schwer, mehr Führungsfrauen zu entwickeln: In keinem der oben genannten Länder arbeiten Frauen so wenig wie in Deutschland. Wer in geringer Teilzeit arbeitet, wird aber selten Führungskraft. Die Pipeline könnte noch besser gefüllt sein, wenn das deutschen Steuersystem nicht einen so starken Anreiz setzte, sich Erwerbs- und Familienarbeit eben nicht partnerschaftlich aufzuteilen. Das Ehegattensplitting zementiert unnötig das Modell „Er macht Karriere und sie verdient ein wenig hinzu“ – ganz sicher gibt es bessere Wege der Familienförderung, die nicht auf Kosten der finanziellen Unabhängigkeit und Karriereentwicklung der Frauen gehen.

Staat und Unternehmen sind in der Verantwortung

Es ist an Staat und Unternehmen, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass beide Partner sich beruflich engagieren und vollzeitnah arbeiten können und ein Leben mit Kindern und Beruf möglich wird, das für alle Beteiligten lebenswert ist. Auf allen Ebenen, auch im Vorstand. Da kann Deutschland mehr, viel mehr.

 
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